Generalat der Krankenschwestern vom Regulierten Dritten Orden des hl. Franziskus

Schwester M. Juvenalis


Der 19.9.1937 war ein Sonntag. Die Frühmesse in Wippingen (Emsland) war zu Ende. Da kam ein Messdiener an den Platz von Frau Lammers, die hochschwanger war und bat sie in die Sakristei. Der Pfarrer sagte zu ihr: „Ich glaube, Sie haben heute Ihren schweren Tag und da wollte ich Ihnen doch den Segen geben.“ Am gleichen Abend um 21.30 Uhr erblickte ich das Licht der Welt. Ich war das 5. von 6 Kindern und bekam den Namen Engeline.
Mein Vater war Tischler und wir waren ziemlich arm. Doch es war schön zu Hause. Meine Erinnerungen an meine Kindheit und mein Elternhaus sind „warm und weich“.

Natürlich waren wir katholisch - wie alle im Dorf. Als ich 16 Jahre alt war, kam ich zu Schwestern, um „die Küche zu lernen“, denn aus mir sollte nach Meinung meiner Eltern ja was Vernünftiges werden. Ich dachte: „Na ja, ein Jahr hältst du es ja aus - so ohne Lachen und Feiern.“
Mit bangen Herzen kam ich in Riesenbeck bei den Schwestern an und wurde durch sie eines Besseren belehrt: Ich traf auf Schwestern, die offen und fröhlich waren! Dass sie zu unserer Ordensgemeinschaft gehörten und ich dadurch mit unserer franziskanischen Spiritualität vertraut wurde, habe ich erst später realisiert.

Statt ein Jahr blieb ich zwei Jahre und half auf einer der Krankenstationen. In dieser Zeit lernte ich einen jungen Mann kennen, der mir sehr gut gefiel. Obwohl niemand der Schwestern mich in irgendeiner Form bedrängt hätte, doch über ein Leben im Orden nachzudenken, merkte ich jedoch, – vor allem, wenn wir gefeiert hatten -, dass bei mir immer wieder die Frage auftauchte: „Soll das alles gewesen sein?“. Diese Gedanken führten schließlich dazu, mich zwischen Partnerschaft und Ordensleben entscheiden zu müssen. Nach einem Besuch bei einer Einkleidung im Mutterhaus war für mich klar, dass ich Ordensfrau werden möchte. Was mich sehr berührte, war der Ausspruch meines Freundes: „Gegen Gott kann und will ich nicht antreten!“

Am 8. Oktober 1960 trat ich in unsere Gemeinschaft ein und bekam den Namen Juvenalis – „die Jugendliche“! In meinem Noviziat war ich für 6 Monate in Leeuwarden (Niederlande), eine Zeit, die ich nie vergessen werde. Meine Erste Profess war für mich nicht ein „Ja auf Probe“, sondern schon eine Lebensentscheidung, die in vielen Ja-Worten immer wieder neu Gestalt bekam.
Nach der Profess erlernte ich die Krankenpflege und wurde in verschiedenen Häusern eingesetzt. Unter anderem war ich 16 Jahre in Haltern in der Leitung einer Privatstation tätig.. Während der Zeit in Haltern habe ich die tiefste Krise im Blick auf meine Berufung erlebt und auch über 9 Jahre die Erfahrung ernsthafter und langer Krankheit machen müssen. Dies hat mich sicher sensibel gemacht für Menschen, die nicht das Glück hatten wie ich, plötzlich zu genesen! Meine plötzliche Genesung ist bis heute medizinisch nicht erklärbar – für mich ein Wunder und Geschenk!

Von Haltern wurde ich 1982 wieder nach Münster auf eine interne Männerstation versetzt. Unter den Patienten waren viele Obdachlose und Alkoholkranke, die mich gelehrt haben, dass gerade sie im franziskanischen Sinn wirklich „meine Brüder“ sind!
1988 begegnete mir auf dieser Station auch der erste Patient, der an AIDS erkankt war. Schnell war klar, dass seine bisherigen Erfahrungen mit der katholischen Kirche für ihn alles andere als heilsam gewesen waren. Nach einer Woche sagte er mir: „Hier habe ich ein anderes Gesicht von Kirche kennen gelernt!“ 6 Wochen später bekamen wir die Nachricht, er sei verstorben.
Diese Begegnung hat mich hellhörig gemacht für alles, was mit dem Thema AIDS und den davon betroffenen Menschen zu tun hat.

Nach reiflicher Überlegung, vielen Diskussionen mit Mitschwestern und im Gespräch mit der Ordensleitung wurde mir klar, dass ich als Franziskanerin und Krankenschwester genau an die Seite dieser Menschen gehöre.

1992 zog ich gemeinsam mit Sr.M.Hannelore, die damals gerade ihre Zeitliche Profess für ein Jahr verlängert hatte, nach Ost-Berlin. Gemeinsam mit 5 Franziskanern wohnten wir im Franziskanerkloster Pankow, einem Haus, in dem die Sorge um Menschen „am Rande“ Ausdruck fand im Engagement einer Suppenküche der Brüder sowie unserer Arbeit im AIDS-Bereich.

Nach 2 Jahren, die wir jeweils in der Klinik und ambulanten Pflege mit dem Schwerpunkt HIV/AIDS gearbeitet hatten, wurde klar, dass die Sorge um schwerkranke und sterbende AIDS-Patienten für uns der Bereich war, in dem wir am ehesten gebraucht wurden.

So gründeten wir 1997 einen ambulanten Hospizdienst für diese Patienten. Er trägt den Namen TAUWERK und ist mit seiner Spezialisierung einmalig in Berlin und ganz Deutschland.

Nach dem Aufbau dieses Dienstes bin ich nach Erreichen des Rentenalters seit dem Jahre 2000 nun eine der 30 Hospizhelferinnen und „Vollzeit-Ehrenamtliche“. Ich besuche regelmäßig einen oder zwei unserer 25 Patienten - egal, ob sie zuhause, im Krankenhaus oder im Pflegeheim sind. Weil AIDS oft so unkalkulierbar verläuft, kann die Begleitung Wochen, Monate oder manchmal auch weitaus länger sein! Darüber hinaus bin ich gern bereit, insbesondere in der akuten Sterbephase, wenn eine Sitzwache nötig ist, tagsüber oder nachts den Menschen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie in dieser Lebensphase brauchen. Ansonsten organisiere ich unseren jährlichen Basar, für den ich etwa 600 Marmeladen in 30 Sorten in unserer Konventsküche koche. Dies macht mir viel Freude!
Seit 6 Jahren wohne ich mit Sr. Hannelore und Sr. Margret in einem Mietshaus in einer Etagenwohnung.

Da es offenbar nicht selbstverständlich ist, wie katholische Ordensfrauen mit den Menschen, die an AIDS erkrankt sind, umgehen, wird unser Engagement als Mauritzer Franziskanerinnen von verschiedenen Stellen, auch gesellschaftlich, wahrgenommen. So erhielt ich im Jahr 2000 die Bundesverdienstmedaille, im Januar 2010 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Wichtiger als solche Ordensverleihungen aber ist mir der Satz einer unserer Patienten: als ich ihn das erste Mal traf, sagte er mir, er wolle aufgrund seiner Erfahrungen mit der katholischen Kirche, die ihn tief verletzt hatten, aus dieser Kirche austreten. Ein Jahr später sagte er mir: „Wenn es Menschen wie Euch in dieser Kirche gibt, dann muss ich nicht mehr austreten!“

Gerade war der 50. Jahrestag meines Ordenseintritts. Ich freue mich sehr, im Blick auf mein Leben als Franziskanerin und unser Apostolat hier in Berlin wie Franziskus sagen zu können: „Das ist es, was ich will, das ist es, was ich suche, das verlange ich aus innerstem Herzen zu tun!“